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1200 Jahre Kißlegg 

Beitrag des Gemeindearchivs Kißlegg zur Sonderbeilage der Schwäbischen Zeitung vom 16. Mai 2024

zugleich Begleittext zur Jahresausstellung 2024 des Pfarrarchivs
St. Gallus und Ulrich Kißlegg im Pfarrstadel Kißlegg

Kißlegg blickt 2024 auf 1200 Jahre Geschichte zurück und feiert das Jubiläum seiner Ersterwähnung. Es geht gewissermaßen um den „Tauftag“ des Fleckens im Jahr 824. Denn bestimmt ist der Ort noch deutlich älter und hatte damals bereits Phasen früherer menschlicher Ansiedlung hinter sich. Die „Taufscheine“, die beiden ersten Dokumente, die der Siedlung am Unter- oder Zellersee einen Namen zuordnen, sind zum Glück erhalten geblieben: Gerbald und Landpreht übertragen darin am 20. Juni 824 ihre Besitztümer in dem „Ratpoticella“ genannten Ort zu ihrem Seelenheil an das Kloster St. Gallen, um sie gegen einen Zins auf Lebenszeit zur Bewirtschaftung wieder zurück zu erhalten.

Rund 750 Urkunden dieser Art aus der Zeit der Zeit der Merowinger, Karolinger und Ottonen zwischen 720 und 960 nach Christus, zu denen auch die beiden "Kißlegger" aus dem Jahr 824 gehören, finden sich im Stiftsarchiv St. Gallen, das zusammen mit der berühmten Stiftsbibliothek St. Gallen wegen der reichen schriftlichen Überlieferung aus frühester Zeit zum Weltdokumentenerbe und der St. Galler Stiftsbezirk insgesamt zum Weltkulturerbe der UNESCO zählt. Der Urkundenschatz des Klosters ist einzigartig in Europa. Beinahe 1000 Weiler, Dörfer und Städte in der Schweiz, Deutschland, Österreich und Frankreich werden hier in einer oder mehreren Urkunden des Stiftsarchivs erstmals schriftlich fassbar. Darüber hinaus erschließt sich aus ihm die frühmittelalterliche Lebenswelt im Umfeld des Klosters und all seiner auswärtigen Besitzungen – wie zum Beispiel in Kißlegg …

Logo 1200 Jahre
Logo der Gemeinde Kißlegg zum Jubiliäumsjahr 2024

1200 Jahre Kißlegg

Das 8. Jahrhundert nach Christus. In unsere Gegend waren die Alemannen eingedrun­gen und auf eine hier verbliebene keltisch-romanische Bevölkerung gestoßen. Sie hatten zu jener Zeit die christliche Religion wohl zum großen Teil bereits angenom­men.1 Die Franken, insbesondere die Hausmeier, dann Könige aus der Familie der Karolinger, gewannen damals endgültig die Oberhand über die Alemannen.2 Sie organisierten unter Pippin und Karl dem Großen ihr Reich neu. Nach der Zerschla­gung des alemannischen Adels (746) ersetzten Grafen die alemannischen Herzöge und verwalteten die alemannischen Gaue, bei uns den Nibelgau. Zu jener Zeit, im Jahr 766, erscheint das heutige Leutkirch erstmals in einer Urkunde des Klosters St. Gallen und zeigt sich darin als vorrangiger Gerichts- und Kirchort des Nibelgaus.3 Das Martins-Patrozinium der dortigen Kirche deutet auf den fränkischen Einfluss bei der Kirchengründung hin.4 Mehrere Leutpriester (im Gegensatz zu den Ordenspries­tern), wohl unter einem Erzpriester, kümmerten sich hier um die Seelsorge und be­tätigten sich zugleich als Schreiber von Urkunden, als Zeugen und als Missionare.5


Die Franken forcierten die Missionierung. Sie begünstigten auch die Gründung von „Zellen“, Missionsposten mit Wohnung und Kirche, durch Zuweisung von Land an Priester, die dann die jeweilige Nachbarschaft seelsorgerlich betreuen konnten.6 Auch Geistliche der Martinskirche Leutkirch gehörten dazu, wie etwa der 860 genannte Priester Hupold, Gründer der „Hupoldescella“, des heutigen Ortes Frauenzell.7


Gegen Ende des 8. Jahrhunderts errichtete der Priester Ratpot drei Stunden westlich seines Dienstortes Leutkirch eine solche „Zelle” an einem in späteren Quellen „Un­tersee“ genannten eiszeitlichen Gewässer. Der Untersee heißt heute Zellersee; an ihn schließt sich jetzt der Marktflecken Kißlegg an.

Von dem Priester Ratpot hören wir erstmals in einer Urkunde von 766.8 Damals am­tierte er als Zeuge bei einem Vertragsabschluss über die Schenkung der Söhne des Marulf an das Kloster St. Gallen. Kurze Zeit später, wohl zu Beginn des letzten Vier­tels des 8. Jahrhunderts, scheint Ratpot seine Zelle gegründet zu haben.9 Das hierfür erforderliche Areal dürfte sich im Besitz Ratpots befunden haben.10 Vielleicht trat er bald darauf Land an nachfolgende Siedler ab, die ihre Höfe und Häuser um die Zelle herum erstellen konnten.11

Am Sonntag, dem 4. Mai des Jahres 788, „[…] im 20. Jahr der Regierung unseres ruhmreichen Herrn Carl, Königs der Franken [...]“ (Karls des Großen) übertrug er seine Besitztümer einschließlich eines von ihm gegründeten Weilers dem auch in Oberschwaben reich begüterten Kloster St. Gallen, behielt sich aber die Erträge hier­aus auf Lebenszeit gegen Zinszahlung vor.12 Die Schenkung wurde in Leutkirch vor zwölf Zeugen beurkundet.13 Die cella hatte sich damals also offenbar tatsächlich be­reits zu einer kleinen Ortschaft entwickelt, die im Jahr 824 als Ratbotizella bzw. Ratpotescella in zwei Urkunden des Klosters St. Gallen erstmals namentlich erwähnt wird.14


Am Montag, dem 20. Juni 824 nämlich übertrug zum einen Gerbald dem Kloster St. Gallen seinen Besitz im Nibelgau, in Kißlegg, mit allem Zubehör. Er behielt sich aber die Rücknahme der Güter auf Lebenszeit gegen einen jährlichen Zins von einem halben Solidus vor.15 Ebenso übertrug am gleichen Tag Lantprecht dem Kloster St. Gallen für sein Seelenheil seinen ererbten Besitz in Kißlegg (Ratpotescella) mit allem Zubehör. Auch er behielt sich aber für sich und seine Nachkommenschaft die Rück­nahme der Güter gegen einen jährlichen Zins von vier Denaren vor.16


Dass das im 9. Jahrhundert wiederholt erwähnte Ratpoticella mit dem heutigen Ort Kißlegg identisch ist, erkannte erst der Allgäu-Historiker Dr. Franz Ludwig Baumann Ende des 19. Jahrhunderts und legte dafür mehrere einleuchtende Begründungen vor.17


Die Schenkung von eigenem Grundbesitz an ein Kloster, das dem Schenker das Land zur Bewirtschaftung als Leihegut zurückgab (precaria oblata), war damals eine weit verbreitete Praxis.18 Die Beweggründe waren vielfältig; die Rechtssicherheit unter dem Schutz des Klosters, aber auch die Sorge um das eigene Seelenheil mögen eine Rolle gespielt haben.19 Entsprechend hieß es bei Ratpots eigener Schenkung im Jahr 788: „Möge es bei jedem so weit kommen, dass er mit den Ohren höre und mit der Tat erfülle, was der Herr mit eigenem Munde ausgesprochen hat, indem er sagte: Gebet, und es wird euch gegeben werden und wiederum: Gebet Almosen und alle Welt gehört euch.“


In einer weiteren, die cella Ratpoti, mithin Kißlegg betreffenden Urkunde, die in der Zeit zwischen dem 12. September 826 und dem 22. Januar 828 entstanden ist,20 über­trug Rachilt dem Kloster St. Gallen gemeinsam mit ihrem Anwalt (advocatus) Scrutolf für ihr und ihrer Mutter Seelenheil eine Hufe des Fruachonolf in Leutkirch mit allem Zubehör; unter dem Vorbehalt, dass sie die Hufe auf Lebenszeit an sich zu­rücknehmen durfte und in der cella Ratpoti einen angemessenen Wohnplatz sowie den für einen Mönch üblichen Unterhalt und Kleidung erhalten sollte.21 Rachilt be­stimmte weiterhin, dass ihre Mutter auf Wunsch ebendort leben durfte und dann die­selben Leistungen erhalten sollte. Demnach nutzte das Kloster die Zelle als Versor­gungseinrichtung, mithin als „Alterswohnheim” für wohlhabende Frauen, die im Ge­genzug das Kloster aus ihrem Vermögen begabten.22 Dafür gibt es einen weiteren Nachweis aus dem Jahr 849,23 als der Priester Landpreht sich als Gegenleistung für eine Schenkung von Grundbesitz unter anderem Wohnung und Unterhalt für seine Nichte Diotpirc in der cella Ratpoti wie für einen Mönch auf deren Lebenszeit zu­sichern ließ.24


Bereits die Gründung der "Zelle" durch den Priester Ratpot im 8. Jahrhundert dürfte die Errichtung einer Kirche beinhaltet oder sogar bedingt haben.25 849 besaß der Priester Landpreht Wohnhaus und Kapelle - aller Wahrscheinlichkeit nach - in Ratpoticella.26 St. Galler Urkunden aus den Jahren 861 und 868 berichten über Zins­zahlungen aus Rot und Rempertshofen "ad cellam Ratpoti", die dem Kloster St. Gallen gehört, bzw. "ad missam sancti Martini confessoris Christi in Ratpoticella".27 Diese Formulierungen werden als indirekte Ersterwähnung der Kißlegger Kirche ge­deutet28, als "Inbegriff der Heiligenpflege oder Kirchenfabrik des Kißlegger Kirch­leins, das als Tochterkirche der St. Martins-Urkirche in Leutkirch ebenfalls dem hl. Martin geweiht war."29 Durch die Schenkung an das Kloster St. Gallen war die Kirche dessen Eigenkirche geworden und gehörte noch um 1266 zu den Patronats­kirchen des Klosters.30 Die Pfarrei war entstanden.31 Es verwundert nicht, dass der Gründer des Klosters, der heilige Gallus, den wohl ursprünglichen Patron Martin bald verdrängte. Zuletzt ist St. Gallen 1353 als Patronatsherr genannt mit der Bemerkung, dass Schellenberg das Recht für sich beanspruchte.32


Weitere Schenkungen von Gütern, Leuten und Zinsen an das Kloster aus dem Ort Ratpoticella und seiner Umgebung (824, 848, 861)33 nahm das Kloster um 850 zum Anlass, in Ratpoticella (1135 Celle) einen Kell- oder Meierhof als Zentrum seiner Besitzungen im westlichen Nibelgau, wie es das nahegelegene Wangen für den Argengau geworden war, einzurichten. 34 An der Spitze stand als Verwalter der Meier (villicus), der den von Leibeigenen und Knechten geführten eigenen Wirtschafts­betrieb des Herrenhofs (Salland) leitete und gleichzeitig Abgaben der hörigen Grund­holden (Halbfreie) in den umliegenden Höfen in Empfang nahm und ihnen Fron­dienste beim Herrenhof abverlangte.35


Eine benachbarte Ministerialenfamilie führte nachweisbar ab dem 12. Jahrhundert die Aufsicht über diesen Meierhof. Sie besaß – vielleicht auch schon seit dem 9. Jh. – eine Viertelstunde nordwestlich der cella einen eigenen Herrenhof, dessen Name möglicherweise von einem der ganz frühen Mitglieder dieser Familie abgeleitet war, von einem der in den Nibelgau-Urkunden des Klosters St. Gallen als Zeugen, Schöf­fen und Schenker genannten Kisilolt oder Kisilhar.36 Die Angehörigen dieser Familie nannten sich seit dem 12. und frühen 13. Jahrhundert, wohl im Zuge der Errichtung einer Burg, von Kisilegge. Ihre Tätigkeit als klösterliche Maier im Ort Zell führte nach und nach zur Übertragung ihres Namens auf den Ort (1135, um 1200 und 1264/70 noch cella bzw. celle37, dann 1345 Kiselegg celle38, 1394 im Dorffe zu Celle, in dem Ampte, das zu der Vesten Kyslegg gehört39, 1399 und 1400 Zell im Amt40, 1450 Zell bei Kißlegg41, 1467 Zell im Dorf bei Kislegg42, 1490 Kislegg Zell im Dorf43, 1497 Kislegg Zell im Markt44, 1525 nochmals Zell im Markt45, 1587 wieder Kißlegg Zell im Marckht.46 Bis heute bewahrt der „Zellersee” in seinem Namen die geschicht­lichen Ursprünge unseres Ortes.


Als frühester urkundlich fassbarer Vertreter des Geschlechts gilt der 1135 noch ohne Familien- bzw. Herkunftsname erwähnte villicus des Klosters in Zell, Walther47. Zwischen 1120 und 1189 nennen Totenbücher der Klöster Reichenau und St. Gallen den Laien Pertolt de Kisi[lekke],48 die Laienbrüder Adalbert und Cunthram, wiederum einen Walther sowie Berthold von Kißlegg (de Kisilegge bzw. de Chisilecke).49


Die Familie gilt als eine der wichtigsten Ministerialengeschlechter der Abtei nördlich des Bodensees, mit teils weit von ihrer Stammburg entfernten Besitzungen (Wasser­burg am Bodensee, Hindelang, Deuchelried, Wangen-Epplings). Ihre angesehene Stellung zeigt sich in ihren engen Beziehungen zu Reichsministerialen und Altadeli­gen.50 Burkhard von Kißlegg befand sich 1241 zusammen mit seinem Sohn im Gefol­ge König Konrads IV.51; außerdem erscheinen im 13. Jahrhundert noch ein älterer (1227, 1256)52 und ein jüngerer (1267, 1280)53 Berthold, letzterer mit seinem Bruder Burkhard (1269, 1274)54. Als Mönche aus der Familie sind damals außerdem frater H. de Kisilegge (Kloster Paradies, 1275) und Dietrich von Kißlegg (Kloster Salem, 1274)55 genannt.


Berthold (Bero) von Kißlegg verkaufte im Jahr 1280 die Herrschaft Wasserburg an die Brüder Ulrich und Marquard von Schellenberg, königliche Landvögte in Ober­schwaben. Marquard verheiratete seinen Sohn Tölzer (I.) um 1280 mit der Erbtocher Bertholds, des letzten Herrn von Kißlegg. Damit ging Kißlegg an das Haus Schellen­berg über.56

Gemeindearchiv Kißlegg, 16.08.2024/tw

Gerbaldsurkunde von 824

Gerbald überträgt seinen Besitz in Ratbotizella an das Kloster St. Gallen – 824 Juni 20

St. Gallen, Stiftsarchiv, II 52 (Privaturkunde). https://www.e-chartae.ch/de/charters/view/583


Landprehtsurkunde von 824
Lantpret überträgt seinen Besitz in Ratpotescella an das Kloster St. Gallen – 824 Juni 20

St. Gallen, Stiftsarchiv, II 55 (Privaturkunde). https://www.e-chartae.ch/de/charters/view/401



Anmerkungen und Nachweise

1 Ernst, Richard: Zur Frühgeschichte von Kißlegg. Von der ersten menschlichen Siedlung bis zur Über­nahme der Herrschaft Kißlegg durch die Herren von Schellenberg. Kißlegg 1988 (Beiträge zur Ge­schichte Kißleggs, 1), S. 16 und S. 33; siehe auch Oberholzer, Paul: Vom Eigenkirchenwesen zum Patronatsrecht. Leutekirchen des Klosters St. Gallen im Früh- und Hochmittelalter. St. Gallen 2002, S. 35; ebenso De Kegel-Schorer, Catherine: Die Freien auf Leutkircher Heide. Ursprung, Ausformung und Erosion einer oberdeutschen Freibauerngenossenschaft. Epfendorf 2007, S. 37 f.

2 Die Gründung des Bistums Konstanz (in der Zeit nach 600) erfolgte unter Mitwirkung der alemanni­schen Herzöge, in einer Zeit größerer Unabhängigkeit der Alemannen von den Franken. Die Über­tragung von Reliquien aus der Windischer Bischofskirche nach Konstanz durch König Dagobert (629/30) lässt eine gewisse Duldung oder Unterstützung dieser Aktivitäten durch die Merowinger er­kennen. Noch 708 und danach unterstützen Alemannenherzog Gotfried und der alemannische Adel auch das entstehende Kloster St. Gallen durch Schenkungen. Pirmin gründet das Kloster Reichenau im Jahr 724 hingegen auf der Basis eines Schutzbriefs des Hausmeiers Karl Martell mit gleichzeitiger Zu­weisung von Königsland und mehreren alemannischen Dörfern im Umkreis der Insel. Vielleicht ist da­mit die Absicht der Karolinger verbunden, mit einem geistlichen zugleich auch ein politisches Zentrum des Frankenreichs in Alemannien zu etablieren. Zunächst jedoch gewinnen die alemannischen Herzöge und der Konstanzer Bischof die Oberhand auch über die Reichenau, so dass Pirmin schon bald die Insel verlassen muss und durch den Alemannen Eddo ersetzt wird. Nach der Zerschlagung eines Alemannen­aufstands durch die Franken im Jahr 746 bei Cannstatt kommen die Reichenau, das Bistum Konstanz und im Gefolge auch das Kloster St. Gallen mehr und mehr unter die Kontrolle der Franken. In aller Kürze hierzu: Reinhardt, Rudolf und Polonyi, Andrea: Die Kirche in der Diözese Rottenburg-Stutt­gart von der Christianisierung bis in die Gegenwart. I. Die frühe Zeit. Neuried 1989, S. 12-25. Oberholzer, S. 43, bestätigt, bis 746 sei die Entwicklung des Klosters St. Gallen durch den Wider­stand des alemannischen Adels gegen den karolingischen Einfluss geprägt gewesen; danach sei die Ab­tei in den Aufbau der karolingischen Herrschaft eingebunden worden. Die Absetzung von Abt Otmar um 759 markiere den Beginn einer noch engeren Anbindung an die fränkische Herrschaft. Bezüglich der Ansiedlung der Alemannen spricht Oberholzer, S. 35, von einer Zuwendung der romanischen Oberschicht zu den selbständigen, den Einfluss der Franken begrenzenden Alemannen und einem da­durch bedingten vermehrten „Einsickern” alemannischer Siedler im 7. Jahrhundert auch bis in die Nordostschweiz. Im Nibelgau sieht Oberholzer, S. 226, „älteres Ausbauland, das im Lauf des 7. Jahr­hunderts unter fränkischer Mitwirkung besiedelt worden war.“

3 Oberholzer, S. 226.

4 Ernst S. 33; die Martinskirche im heutigen Leutkirch habe zunächst das alleinige Taufrecht im Gau besessen, und sei, wie die meisten, auf fränkischen Einfluss zurückgehenden Urkirchen, dem hl. Martin geweiht gewesen. Die neuere Forschung geht noch weiter, sie spricht nicht nur von fränkischem Ein­fluss, sondern davon, dass es sich, wie zu jener Zeit häufig, auch bei der St.-Martins-Kirche Leutkirch (797 erstmals als Martinskirche erwähnt) wohl um eine königliche Eigenkirche handelte, die von einem Beauftragten des Königs erstellt worden sein könnte, im Gegensatz zu einer nach römisch-kirchlichem Muster (mithin durch den zuständigen Bischof) installierten Pfarrkirche oder einer genossenschaftlichen Kirchengründung. Öffentlich, "Leutekirche" (860: ecclesia publica, Stiftsarchiv St. Gallen (StiA SG), Privaturkunden, III 233), könne sie trotzdem gewesen sein: De Kegel-Schorer, S. 36.

5 Über die Leutpriester und Erzpriester siehe Ernst, S. 33, und Baumann, Franz Ludwig: Geschichte des Allgäus. Band 1: Von der ältesten Zeit bis zur Zeit der schwäbischen Herzöge (1268). Kempten (Kösel) 1883, S. 103.

6 Ernst, S. 33 und S. 40; den fränkischen Einfluss bestätigen auch Oberholzer, S. 227, und De Kegel-Schorer, S. 36 f.

7 Ernst, S. 40; StiA SG, Privaturkunden, III 241; Transkription in Wartmann, Hermann: Urkunden­buch der Abtei Sanct Gallen. Theil II. Jahr 840-920. Zürich, 1866, S. 86 (Nr. 470). Zu den rodenden und/oder Zellen gründenden Priestern im Nibelgau zählt Schneider (Schneider, Wilhelm: Der Er­werb und Ausbau der Ratpoti cella (Kißlegg) durch das Kloster St. Gallen. In: ders.: Arbeiten zur ala­mannischen Frühgeschichte, Heft XVIII: Arbeiten zur Kirchengeschichte, Teil II. Tübingen 1991, S. 235–266), S. 256, neben Ratpot die Priester Hupold (Hupoldescella, gedeutet als das heutige Frauen­zell), Cunzo (Karbach), Landpreht (Besitz in Ratpoticella; siehe auch Anm. 11) und Meginbert (cella Meginberti; dieser hatte Besitz in Sconinperac, mit der eher fraglichen Zuordnung zu Schönenberg bei Kißlegg).

Zur Verwendung des Begriffs "Zelle" nicht nur für die Mönchszelle, sondern auch für Missions- und Pastorationsstationen von Leutpriestern siehe ausführlich Baumann, Geschichte des Allgäus, Band I, S. 99 f.

8 StiA SG, Privaturkunden, Bremen 11. Transkription in Wartmann, Hermann: Urkundenbuch der Ab­tei Sanct Gallen. Theil I. Jahr 700-840. Zürich, 1863, S. 49 f. (Nr. 49).

9 Ernst, S. 35. Begründet wird die Datierung mit den Funktionen, in denen Ratpot in drei Urkunden aus den Jahren 766, 788 und 812 erscheint: zunächst als Priester und Zeuge 766, vielleicht im Alter von etwa 30 Jahren, dann als Priester und Tradent seiner Güter im Jahr 788, was einen gewissen „Ab­schluss“ seiner aktiven Tätigkeit markiert haben könnte; vielleicht als Mittfünfziger, auch wenn er noch an den weiteren Ausbau seiner Siedlung dachte, und zuletzt als Verfasser einer Urkunde im Jahr 812 (StiA SG, Privaturkunden, I 190 und 191. Transkription in Wartmann, Theil I, S. 200, Nr. 210) in einem Alter von etwa 75 Jahren. Plausibel, aber durchaus nicht sicher erscheint die Annahme, dass alle drei genannten Ratpot ein und dieselbe Person gewesen seien: eigene Auffassung TW 2023.

10 Ratpot hatte es wohl von fränkischer Seite erhalten: Ernst S. 40. Als Besitzer dieses Areals dürfte Ratpot zum Königszinser und/oder zum Grafenzinser geworden sein: Oberholzer, S. 47 und 226 und Borgolte, Grafschaften, S. 177.

11 Ernst S. 36, 40 f. und 44. Zu den 824 und 849 genannten Besitztümern jeweils eines Landpreht im Umfeld der cella resümiert Ernst, man werde sich „… bezüglich der Frage der Beziehungen der cella zu dem Anwesen des Landpreht mit einem non liquet abfinden müssen.“

12 StiA SG, Privaturkunden, I 102. Transkription in Wartmann, Theil I, S. 110 f. (Nr. 117). Übersetzung ins Deutsche bei Ernst, S. 30.

13 Der Besitz Ratpots und die Übergabe desselben an das Kloster werden in der Urkunde wie folgt be­schrieben: „… Ich (Ratpot) übergebe daher an das Kloster des Hl. Gallus ... alles, was ich am heutigen Tag in Nibulgauia besitze, mit Ausnahme des Kirchenlandes und einiger Jauchart, über die ich die Nachbarn und die Abgesandten jenes Klosters geführt habe; das übrige gebe ich ... an jenes Kloster zu dauerndem Besitz, nämlich Gebäude, Ländereien, Wohnhäuser, Felder, Wiesen, Wälder, Wege, Gewässer und Wasserabläufe, Bewegliches und Unbewegliches, Angebautes und Nichtangebautes; und folgende Hörige: Fruahanolf, Zilla, Lantheri, Willibold, Lanthilt, Tetta, Totocha, Emhilt, Cozhilt … und in gleicher Weise einen Weiler, den ich mit meinen eigenen Händen geschaffen habe, oder was al­les ich dort noch werde erarbeiten können; aber mit der Maßgabe, dass ich Zeit meines Lebens jene Sachen wieder an mich nehme und dafür einen jährlichen Zins leiste…“ (Übersetzung: Ernst, S. 30).

14 Wobei sich die Frage, ob sich die in der Urkunde von 788 beschriebenen Güter auch auf die Markung der cella des Ratpot beziehen, nicht mit Sicherheit lösen lässt: Richard Ernst verweist (S. 33) darauf, dass "in Nibulgauia“ zweierlei bedeuten kann: den Gau selbst, aber auch den Hauptort des Gaus, Leut­kirch. Zu jener Zeit waren zwei Namen für diesen Hauptort üblich: villa Nibulgauva (und Varianten) und Ufhova (Aufhofen). Wenn mit „Nibelgau“ der Gau oder die den geschlossenen Ort Leutkirch um­gebende Markung gemeint war, so fügte der jeweilige Schreiber der Urkunde häufig die Worte marcha (Markung) oder pagus (Gau) bei, im Gegensatz zum Bestimmungswort villa beim Ort Leutkirch. In be­sagter Urkunde von 788 fehlen diese Bezeichnungen ganz, sodass beide Möglichkeiten offen bleiben. Wäre mit dem Besitz Ratpots „in Nibulgauia“ Besitz im Gau gemeint, so könne, meint R. Ernst, auch die Zelle inbegriffen sein. Dafür spreche die Erwähnung des „Kirchenlandes“, das Ratpot von der Schenkung ausnimmt. Die Kirche in Leutkirch sei herrschaftlich; sie könne damit nicht gemeint gewe­sen sein. Außerdem dürfte damals noch kein Bedürfnis für eine weitere Kirche in Leutkirch bestanden haben. Wahrscheinlicher sei, dass das „Kirchenland“ die Grundstücke bei der cella bezeichne. Bradler und Schneider verorten die terra ecclesiastica hingegen in oder bei Leutkirch, als der dorti­gen Leutekirche oder königlichen Eigenkirche St. Martin zugehörig; so auch De Kegel-Schorer, S. 37 Anm. 37: Die terra ecclesiastica aus dem Besitz des Priesters Ratpot müsse nicht auf dessen Her­kunft aus der Sippe eines Eigenkirchenherrn hinweisen, er könne sie auch als (königliche) Benefizial­leihe innegehabt haben. Ebenso argumentieren Bradler (Bradler, Günther: Die Landschaftsnamen Allgäu und Oberschwaben in geographischer und historischer Sicht. (= Göppinger Akademische Beiträ­ge. Nr. 77). Göppingen 1973, S. 70 und: Studien zur Geschichte der Ministerialität im Allgäu und in Oberschwaben. Göppingen 1973, S. 98) sowie Schneider (S. 237): mit der terra ecclesiastica sei zur Ausstattung der Leutkircher Martinskirche gehörendes, dem Tradenten als Leihgut (Prekarie), nicht als Eigentum überlassenes Land gemeint gewesen. Sicher nicht in oder in unmittelbarer Nähe von Leut­kirch sei, so Ernst, der Weiler zu suchen, den Ratpot mit seinen eigenen Händen geschaffen hat. Dass Ratpot neben seiner cella und der zugehörigen Ortschaft – beides 824 erstmals unter dem Namen Ratpoticella erwähnt – noch einen weiteren Weiler geschaffen habe, erscheine unwahrscheinlich. So dürfe mit ziemlicher Sicherheit vermutet werden, dass der 788 genannte, von Ratpot gegründete Weiler mit dem späteren Ort Ratpoticella identisch ist. Im Jahr 788 wird der Besitz des Gründers genannt und wohl auch die Gründung selbst – der von Ratpot mit eigenen Händen geschaffene Weiler – aber eben nicht namentlich. Borgolte (Borgolte, Michael: Geschichte der Grafschaften Alemanniens in frän­kischer Zeit. Sigmaringen 1984), S. 176, und Schneider, S. 238 bestätigen die Annahme, dass der 788 tradierte Weiler des Ratpot und der ab 824 genannte Weiler Ratpoticella wohl ein und denselben Ort darstellen; Oberholzer, S. 226, schließt sich dieser Meinung an.

15 StiA SG, Privaturkunden, II 52. Transkription in Wartmann, Theil I, S. 262 (Nr. 279).

16 StiA SG, Privaturkunden, II 55. Transkription in Wartmann, Theil I, S. 263 (Nr. 280).

17 Den Nachweis, dass Ratpoticella die Keimzelle des heutigen Kißlegg darstellt, führte Franz Ludwig Baumann offenbar mit der Urkunde StiA SG, Privaturkunden, III 174 vom 24./22. Mai 847/848 (Tran­skription in Wartmann, Theil II, S. 26, Nr. 405), einer Tauschurkunde, mit der Reginbold mit seinen Söhnen von ihm erworbenen und erarbeiteten Besitz im Gebiet von Ratpoticella, inter Zuzzes et Luitirinsehes Pahc gegen Besitz des Klosters St. Gallen in Enenhoven und bei Leutkirch eintauscht. Baumann nahm an, dass Zuzzes in „Zaisenhofen“ weiter lebt und mit „Lauterseebach“ der Bach des Lautersees südwestlich von Kißlegg gemeint ist: Baumann, Franz Ludwig: Die Gaugrafschaften im Wirtembergischen Schwaben. Ein Beitrag zur historischen Geographie Deutschlands. Stuttgart 1879, S. 36. Der Lauterseebach ist allerdings kein markantes Gewässer. Gütter (Gütter, Adolf: Schreiben an das Gemeindearchiv Kißlegg von 2003) bestreitet den etymologischen Zusammenhang von „Zuzzes“ und dem in „Zaisenhofen“ steckenden Personennamen „Zeizzo“. Allerdings geht er davon aus, dass Luitirinsehes Pahc eindeutig mit Lautersee bei Kißlegg identifiziert werden kann; es gebe schlichtweg keinen anderen Ort dieses Namens.

Es bleibt ein Fragezeichen: ist „Ratpoticella“ wirklich mit dem hoch- und spätmittelalterlichen „Zell bei Kißlegg“, dem heutigen Kißlegg, identisch? Es wird, mindestens so lange ergänzende archäologische Befunde nicht vorhanden sind, nicht eindeutig zu klären sein. So lange muss es heißen: nach heutigem Forschungsstand ist der Ort Ratpoticella in dem späteren „Zell im Markt” und heutigen Kißlegg aufge­gangen: eigene Auffassung TW 2023.

18 Ernst, S. 39.

19 Die Motivation für die Schenker, ihr Land an das Kloster zu übertragen, kann sich aus politischen, wirt­schaftlichen, rechtlichen und gesellschaftlich-familiären Umständen ergeben haben. Die wirtschaftliche Bedeutung unterschied sich für Kloster und Tradent, je nachdem, ob es sich um Altsiedelland oder um Rodungsland handelte (Oberholzer, S. 43). Die Schenkung von Kißlegg (ab 788) brachte für die Mönche die Erfordernis weiterer Rodungstätigkeit mit sich, anders als bei den weiteren, in dieser Zeit erworbenen und auf Altsiedelland befindlichen Gütern und Kirchen (Kirchzarten, Wasserburg, Egringen). Letztere waren bereits rentabel und bedeuteten eine unmittelbare wirtschaftliche Stärkung für das Kloster. Der Weiler des Ratpot hingegen sei zum Zeitpunkt der Schenkung 788 gerade erst urbar gemacht und besiedelt worden (S. 44, 47 und S. 228). Der Landesausbau war mit großem Aufwand ver­bunden und überstieg die Kapazität kleiner Grundherren wie des Priesters Ratpot. Kißlegg sei für das Kloster zwar eine entsprechende Herausforderung gewesen, dem es sich aufgrund des ausgedehnten Grundbesitzes im Nibelgau aber habe stellen können (S. 47). In politischer Hinsicht trage Ratpots Sied­lung den Zug fränkischer Förderung des Gallusklosters, der Einbindung in die fränkische Reichspolitik, an sich. Auch habe Abt Werdo (reg. 784 - 812) intensiv den Ausbau der klösterlichen Grundherrschaft verfolgt (S. 47; S. 228). Das alemannische Erbrecht habe zu jener Zeit für jede Generation die erneute Aufteilung der ererbten Güter unter den Söhnen des Hausherrn vorgesehen. In zweiter Linie sollten weitere männliche Verwandte des Vaters erben. Die Mutterseite sei unberücksichtigt geblieben. Fami­liäre Unstimmigkeiten oder das Bestreben, das Gut ungeteilt in die Zukunft zu führen, könnten daher möglicherweise auch Anlass für eine Schenkung geworden sein (Oberholzer, S. 48). Neben der dies­seitigen sei den Menschen schon auch die jenseitige Lebenssicherung, das stets an erster Stelle genann­te das Seelenheil, wichtig gewesen. Angesichts der politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sei dies als Motivation für die Schenkung aber aber als zweitrangig einzustufen (S. 48). Bestimmt hatte auch die geistliche Bedeutung St. Gallens mit dem Grab des als Heiligen verehrten Gallus einen Ein­fluss auf die Entscheidung zur Schenkung, auch das Bewusstsein, als Schenker „ewig” in das Gebet der Mönche eingeschlossen zu sein. Schneider, S. 261 f., sieht gerade bei den rodenden und Zellen grün­denden Priestern, die wohl meistens für Nachkommen nicht zu sorgen hatten, den ihnen gut anstehen­den frommen Eifer als wichtiges Motiv, zumal ihr Werk dadurch in gute Hände gekommen sei und Be­stand haben konnte. Priester hätten aber auch nahe Angehörige in ihren Schenkungen berücksichtigt. Praktisch habe sich durch die Schenkung nicht viel verändert, da der Tradent sein Gut gegen geringen Zins weiter nutzen habe können. Da die Schenkung damals schon selbstverständlich Schriftlichkeit in Form von wohl meist zwei Ausfertigungen erlangte (Erhart, Peter: Ein Archiv in 36 Kapiteln. In: vvaldo vi – Verschleppte Zettel. St. Gallen 2024, S. 97 f.) hatte der Schenker zu guter Letzt auch eine Gewissheit, dass seine Ansprüche am Schenkungsgut dauerhaft im Kloster hinterlegt waren und im Streitfall darauf zurückgegriffen werden konnte.

20 StiA SG, Privaturkunden, II 82. Transkription in Wartmann, Theil I, S. 288 (Nr. 311).

21 Ins Deutsche übersetzt heißt es in der Urkunde: „Und in der Cella Ratpoti soll ich nach dem Recht des­selben Klosters einen angemessenen Platz zum Wohnen erhalten, und es soll mir Nahrung und Kleidung entsprechend der eines Mönches gegeben werden. Und wenn meine Mutter dort zu wohnen wünschen sollte, soll sie es in gleicher Weise haben.“ (Übersetzung in Jordan, Gesine: „Nichts als Nahrung und Kleidung“. Laien und Kleriker als Wohngäste bei den Mönchen von St. Gallen und Redon (8. und 9. Jahrhundert) (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Band 9, hrsg. von Michael Borgolte). Berlin 2007, S. 115).

22 Jordan, Laien und Kleriker, S. 114-117. Dies.: Wohnen am heiligen Ort. Besitz und Handlungsspiel­raum von Frauen im frühen Mittelalter am Beispiel einer quasimonastischen Lebensform. In: Blick­punkt: Frauen- und Geschlechterstudien. Hrsg. von Bärbel Miemietz unter Mitarbeit von Anne Alt­mayer. Saarbrücken 2003, S. 169. Nach Gesine Jordan könnte es so gewesen, dass die cella Ratpoti im 9. Jahrhundert eine mit Nonnen besetzte, vom Mutterkloster St. Gallen abhängige Dependenz war, die die Aufnahme von Laiinnen anbot, ein Angebot, das auch genutzt wurde. Borgolte, Grafschaften, S. 176, nennt die cella Ratpoti „eine St. Galler Dependenz mit Versorgungseinrichtungen für wohlhabende Damen". Schneider (S. 252) meint, die Übernahme von Aufgaben eines Altersheimes gegen entspre­chende Landvergabe spreche für den guten Ruf der Zelle und dafür, dass dort ein rühriger Verwalter ge­sessen sein könnte, der sich auch gegen übermäßige Ansprüche abzusichern verstanden habe. Nach Erhart (Erhart, Peter u. a.: vvaldo v: Nahrung und Kleidung. St. Gallen 2023), S. 40 u. 74-76, ließen sich männliche Schenker, die vom Kloster versorgt werden wollten, in der Regel in St. Gallen nieder; für weibliche Wohngäste hingegen scheine das Kloster mit der cella Ratpoti eine Unterkunft nördlich des Bodensees unterhalten zu haben, die hierfür über genügend Einkünfte verfügte.

23 StiA SG, Privaturkunden, Bremen 26. Transkription in Wartmann, Theil II, S. 27 (Nr. 406): Abt Grimald verleiht an den Priester Lantpreht den von diesem durch Kauf von Chancho, Witric und Wola­liuba mit eigenem Geld erworbenen und mit seinem Advocatus Engilbold an das Kloster St. Gallen übertragenen Besitz im Nibelgau. Lantpreht leistet dafür einen jährlichen Zins von einem Denar. Zudem werden ihm vier ausgewählte Hörige, zwei Männer und zwei Frauen, überlassen. Nach seinem Tod soll seine Nichte/Verwandte Diotpirc die Güter zum Nießbrauch auf Lebenszeit besitzen und dafür jährlich einen Zins von einem Solidus leisten. Verzichtet Diotpirc auf die Güter, soll sie in Kißlegg nach den Möglichkeiten des Ortes einen Wohnplatz und eine Mönchspfründe erhalten. Der entsprechende Passus lautet übersetzt: „...Dann soll sie bei der cella Ratpoti Wohnung und eine Pfründe wie ein Mönch, ent­sprechend den Möglichkeiten des Ortes, für die Zeit ihres Lebens haben…“ (Übersetzung in Jordan, Laien und Kleriker, S. 116).

24 Rachilt stand dem Kloster Jahre vor ihrer Schenkung eine Zeit lang feindlich gegenüber: Sie und ihr Sohn Heripreht leugneten den Anspruch des Klosters auf Güter in Schönenberg, die es Jahre zuvor von Albaric, dem Bruder Rachilts, als Schenkung erhalten hatte. Abt Gozbert führte deswegen Klage bei König Ludwig, der dem Grafen Waning und dem Königsvasallen Ruadpert befahl, eine inquisitorische Untersuchung vorzunehmen, ob diese Güter dem Kloster gehören. Auf der dazu einberufenen Ver­sammlung bestätigten die Zeugen unter Eid, dass Albaric die Güter an das Kloster übertragen hatte, dass die Mönche diese Güter zu Zeiten König Karls 20 Jahre gegen Zins besaßen und dass sie diese Güter auch nach Albarics Tod innehatten, bis Rachilt und Heripreht sie gewaltsam entwendeten. Als diese Zeugen auftraten, weigerten sich Rachilt und Heripreht, deren Zeugnis anzuerkennen, und entzo­gen sich der Gerichtsversammlung, weshalb gerichtlich entschieden wurde, dass die Güter bis zur Ent­scheidung durch ein königliches Urteil in den Bann gestellt werden (undatierte notitia aus der Zeit ab 816; StiA SG, Privaturkunden, Bremen 22; Wartmann, Theil II, S. 395 (Anh. Nr. 18). Schneider, S. 244, hegt gewisse Zweifel am Inhalt der notitia und hält es für möglich, dass die Verhandlung erfunden wurde. Er sieht dies im Zusammenhang mit dem bekannten Eifer des Abtes Gozbert, den klösterlichen Besitz zu vermehren.

25 Oberholzer, S. 227

26 StiA SG, Privaturkunden, Bremen 26; Ernst, S. 36 f. und 44 und Schneider, S. 259. Es wird in Zwei­fel gezogen, dass es sich bei der genannten Wohnung und Kapelle um die Zelle des Ratpot gehandelt habe und Landpreht damit Nachfolger Ratpots gewesen sein müsste, wie Baumann, Geschichte des Allgäus, Band I, S. 103, 156, 169, 203, annahm.

27 Urkunde von 861 April 24, überliefert durch Transkription bei Goldast, Melchior: Alamannicarum rerum scriptores aliquot vetusti, in 2 partes tributus a quibus Alamannorum, qui nunc partim Suevis, partim Helvetiis cessere, historiae tam saeculares quam Ecclesiasticae ... perscripta sunt. Band II. Frankfurt am Main 1606, S. 36 Nr. 5 (Wartmann, Theil II, S. 98 (Nr. 482); die Urkunde ist verloren!): […] vt annis singulis ad Cellam Ratpoti, quae ad monasterium S. Galli pertinet, in censu IIII denarios soluant […].

Urkunde von 868 im StiA SG, Privaturkunden, III 300 (868 Mai 5; Wartmann, Theil II, S. 150 (Nr. 537): […] et hic census ad missa[m] s[an]c[t]i martini confessoris xp[christ]i in ratpotiscella reddatur […]. Schneider, S. 252 f. und Oberholzer, S. 227 interpretieren den Ausdruck ad missam sancti martcini als eine am Fest des Heiligen Martin gefeierte Messe, während Ernst, S. 37 dies als gleichbe­deutend mit der Zelle, als „Inbegriff der Heiligenpflege oder Kirchenfabrik des Kißlegger Kirchleins” sieht. Für ihn leitet sich daraus ab, dass die Kirche dem Heiligen Martin geweiht war.

28 Oberholzer, S. 227

29 Ernst, S. 37

30 Oberholzer, S. 25

31 Hierzu auch Erhart etc., S. 40 und 74 ff.: Schenkungen an das Kloster St. Gallen waren in zwei doku­mentierten Fällen 826/828 und 849 mit Gegenleistungen in Form einer Unterhaltsverpflichtung in der cella Ratpoti verbunden (826/828: Nahrung und Kleidung, wie sie einem Mönch gebührt, für die Tradentin Rachilt und auf Wunsch auch für ihre Mutter; 849: Wohnplatz und Mönchspfründe bei Ver­zicht auf die Nutznießung des von Priester Landpreht an St. Gallen tradierten Gutes für dessen Nichte Diotpirc). "Über den Charakter von Ratpots Gründung lässt sich kaum etwas aussagen, doch muss sie neben Wohn- und Wirtschaftsbauten einen Sakralbau umfasst haben." Siehe StiA SG, Privaturkunden, II 82 und Bremen 26.

32 Haid, Wilhelm: Liber taxationis ecclesiarum et beneficiorum in diocesi Constantiensi de anno 1353. In: Freiburger Diözesan-Archiv 5 (1870) S. 1-118. Freiburg 1870, S. 16.

33 Ernst, S. 40 f.; Schneider, S. 239; StiA SG, Privaturkunden, II 52 und II 55 (beide von 824) und III 174 (von 847/848). Im Jahre 861 befand sich die cella nachweislich im Besitz St. Gallens: Wartmann, Hermann: Urkundenbuch der Abtei Sanct Gallen. Theil III. Jahr 920 - 1360. St. Gallen, 1882, S. 98, Nr. 482 (Urkunde von 861, nicht mehr vorhanden!): Wolaliub gibt zwei Hörige frei unter der Bedingung, dass sie jährlich [… ] ad Cellam Ratpoti, quae ad monasterium sancti Galli pertinet [...], 4 Denar Zins entrichten.

34 Rauh, Dr. Rudolf: Württembergische Archivinventare, 24. Heft: Archiv Kißlegg und Archiv Ratzen­ried. Stuttgart (Kohlhammer) 1953, S. 1

35 Schneider, S. 247

36 Ernst, S. 46.

37 StiA SG, Privaturkunden, FF3 T1. Transkription in: Wartmann, Theil III, S. 39 (Nr. 824) sowie StiA SG, Privaturkunden, FF5 K7 und Stiftsbibliothek St. Gallen, cod. sang. 456 und Stiftsbibliothek St. Gallen, cod. sang. 547, p. 414. Transkription in Wartmann, Theil III, S. 747 und 757 (Nr. 59). Außer­dem Stiftsbibliothek St. Gallen, cod. sang. 390, p. 4.)

38 Hauptstaatsarchiv (HStA) Stuttgart, B 522 I (Benediktinerkloster Weingarten), U 28 (Verzichtserklä­rung der Katharina von Rosenberg auf ihre Rechte an dem Gut auf den Sumern).

39 Bestand Kißlegg im Fürstl. Waldburg-Zeil'schen Gesamtarchiv Schloss Zeil (ZAKi), U 12 (Verleihung des Marktrechts und der Gerichtsbarkeit an die Herren von Schellenberg); Rauh, S. 1.

40 Bestand Kißlegg im Archiv der Fürsten zu Waldburg-Wolfegg und Waldsee, Schloss Wolfegg (WoKi) 1673 f. (Stiftungen der Katharinen- und der Marienkaplanei in Kißlegg).

41 HStA Stuttgart, Bestand B 216 (Reichsstadt Wangen), U 258 (Stiftung der Frühmesskaplanei 1450).

42 HStA Stuttgart, Bestand B 465 (Franziskanerinnenkloster Kißlegg), U 2 (Stiftung eines Zinses an Mut­ter und Schwestern in der Klause zu Zell im Dorf bei Kißlegg durch Marquart von Schellenberg).

43 ebda, Bü 1 (Urkundenregesten des Klosters Kißlegg), Regest Nr. 7 (Zinsverkauf des Marquard von Schellenberg an Hans und Michael Burger zu Kisleggzell im Dorf).

44 ebda, U 4 (Zinsverkauf des Hans und Michael Burgender zu Kisleggzell im Markt an Mutter und Schwestern der Sammlung des Hauses der Klause zu Kisleggzell im Markt).

45 Pfarrarchiv Kißlegg, Gültbuch St. Gallus 1525.

46 HStA Stuttgart, Bestand B 523 (Kloster Weißenau), U 3074 (Manumissionsbrief des Hans Ulrich von Schellenberg zu Kißlegg und Waltershofen für Christoph Müller zu Kißleggzell).

47 StiA SG, Privaturkunden, FF3 T1 und in FF5 K14. Transkriptionen in: Wartmann, Theil III, S. 39 (Nr. 824), und S. 814 f (Nr. 79).

48 Rappmann, Roland und Zettler, Alfons: Die Reichenauer Mönchsgemeinschaft und ihr Totengeden­ken im frühen Mittelalter (Archäologie und Geschichte: Freiburger Forschungen zum ersten Jahrtausend in Südwestdeutschland, Band 5). Heidelberg 2019, S. 6, 490-491; Zentralbibliothek Zürich, Bestand Rh. hist 28, Kat. 566.

49 Jüngeres St. Gallener Totenbuch; vgl. Ernst, S. 51

50 Bradler, Ministerialität, S. 147

51 Gesamtarchiv der Fürsten zu Waldburg-Wolfegg, Schloss Wolfegg, WoBai U II und III.

52 Generallandesarchiv Karlsruhe, Signatur 67/500, fol. 216 v. (Kopie 15. Jh.) Druck: Thurgauisches Ur­kundenbuch, 410 Nr. 121 [zitiert nach: Bradler, Ministerialität, S. 148] und Codex Diplomaticus Salemitanus 1, Nr. 317 [zitiert nach: Bradler, Ministerialität, S. 149].

53 Stiftsarchiv St. Gallen, Züricher Abt. 6, früher Staatsarchiv Zürich; Transkription in Wartmann, Theil III, S. 173 f. (Nr. 976) und Stiftsarchiv St. Gallen, Bücherarchiv, cod. 1262, S. 73; Transkription in Wartmann, Theil III, S. 223, Nr. 1025.

54 Generallandesarchiv (GLA) Karlsruhe; siehe Wartmann, Theil IV, S. 1010 (Anhang Nr. 116) sowie und GLA Karlsruhe, 4/7442; siehe Württembergisches Urkundenbuch Band VII. Stuttgart 1900, Seite 340-341 (Nr. 2463), Bradler, Ministerialität, S. 149.

55 Beide bei Bradler, Ministerialität, S. 149; Codex diplomaticus Salemitanus. Urkundenbuch der Cisterzienserabtei Salem, Band 2, Karlsruhe 1883, S. 109-111, Nr. 509.

56 Büchel, Regesten zur Geschichte der Herren von Schellenberg, Teil I (1901), Nr. 27-30.
 
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